Frömmigkeit keine Bedingung
Talk der Religionen in Lemgo über Frömmigkeit
Kreis Lippe/Lemgo. „Wie fromm muss ich sein, um zu meiner Religion zu gehören?“ Um diese Frage ging es beim „Talk der Religionen“. Die Gesprächsrunde, zu der Kirchen und Religionsgemeinschaften in Lippe regelmäßig einladen, war diesmal zu Gast in der Ditib-Moschee in Lemgo.
Die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der beiden großen Kirchen in Deutschland sei distanziert, nur vergleichsweise wenige Protestanten und Katholiken würden zum Beispiel regelmäßig den Gottesdienst besuchen. Darauf wies Dieter Bökemeier eingangs hin. Der Landespfarrer für Diakonie, Ökumene und Migration der Lippischen Landeskirche sagte auch, dass die Gesellschaft, jedenfalls in Europa, immer säkularer werde. Davon seien auch andere Religionen betroffen.
Frömmigkeit, erklärte Serap Ermiş, sei für den Islam keine Bedingung. Im Grunde genüge es, das Glaubensbekenntnis auszusprechen, um dazuzugehören, also zu bekennen, dass es keinen Gott außer Gott gibt. Ermiş, die in der Lemgoer Moscheegemeinde aufgewachsen ist, studierte Archäologie, Islamwissenschaft sowie komparative (vergleichende) Theologie. Das Eigentliche in ihrer Religion sei nicht die Einhaltung von Regeln, sondern die Bildung eines „schönen Charakters“. Außer über Gott könne man über alles diskutieren. Und: „Wir haben kein Recht, anderen ihre Religion abzusprechen.“ In allen heiligen Schriften gebe es ein Gewaltpotenzial. Deshalb verwahrte sich Ermiş auch gegen die schnelle Reaktion mancher Glaubensgeschwister auf Terror im Namen Allahs, die sagen, das habe nichts mit dem Islam zu tun. Doch, sagte die Wissenschaftlerin, solche Gewalt habe auch Bezüge zur eigenen Religion. Sie beklagte Unwissenheit und gefährliches Halbwissen über diese eigene Religion: „Frömmigkeit kommt auch aus Wissen.“ Dem stimmte Nihat Köse zu: „Wir leiden doch alle unter den angeblich Frommen, die im Namen des Islam Bomben werfen!“, sagte der Öffentlichkeitsreferent des unabhängigen Islamischen Kommunikationszentrums Detmold. Frömmigkeit solle etwas Gutes bewirken.
Das war ganz im Sinne des Eziden Josef Kalasch vom Kurdischen Elternverein Lippe: „Ein Ezide muss nicht fromm sein, aber er muss versuchen, ein guter Mensch zu sein.“ Auch für Matitjahu Kellig, den Vorstandsvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold, geht es um die Frage: „Wie verhalte ich mich als Mensch?“ Hier komme es auf Respekt, Toleranz, Anstand und Redlichkeit an.
Der evangelische Theologe Bökemeier konnte festhalten, dass auch in anderen Religionen „die Schwellen des Dazugehörens nicht so hoch“ seien – schwierig werde es aber, wenn ein Mensch mit dem Etikett „nicht fromm genug“ ausgeschlossen werde. Jesus habe deutlich gesagt, was er von selbstgefälliger Frömmigkeit hielt, etwa in der Geschichte von dem besonders Frommen und dem Sünder, die beide gleichzeitig im Tempel beten, der eine von sich überzeugt, der andere im Bewusstsein seiner Schuld. Dieser, sagt Jesus, war vor Gott gerechtfertigt, nicht jener (Lukas 18,9-14). Menschen, die wirklich fromm sind, ergänzte der katholische Priester Markus Jacobs vom Pastoralverbund Lippe-Detmold, „fühlen sich gar nicht so“. Sie seien vielmehr immer offen für einen Neubeginn.
Zum Hintergrund:
Der Talk der Religionen findet seit 2018 mehrfach im Jahr an unterschiedlichen Veranstaltungsorten in Lippe statt. Regelmäßige Teilnehmer sind: die Jüdische Gemeinde Herford-Detmold, das Islamische Kommunikationszentrum Detmold e.V., Ditib Detmold e.V., der Kurdische Elternverein Lippe e.V., der Alevitische Kulturverein Bad Salzuflen und Umgebung e.V., der Katholische Pastoralverbund Lippe/Detmold und die Lippische Landeskirche.
03.12.2024